Max Scheler
Gesellschaft

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199802

Therapie als Interaktionsgeschichte

Michael B. Buchholz

pp. 108-128

Abstrakt

Die vorangegangene Analyse eines Abschlußinterviews mit einem Schmerzpatienten und seinem Therapeuten hat die zentrale Stellung der Prozeßphantasie gezeigt. Sie bestimmt die Vorstellungen des Patienten über die Art der Hilfe, und diese Vorstellungen sind eingebunden in seine subjektive Krankheitstheorie. Darüber hinaus aber hat sie eine die therapeutische Interaktion steuernde Kraft und erzeugt Interaktionsdilemmata, denen sich zuzuwenden eine Aufgabe qualitativer Forschung dann sein kann, wenn sie Nähe zum klinischen Alltag bewahren will. Diese Nähe ist v.a. deshalb von großer Bedeutung, weil neuerdings zu Recht (Meyer 1994) die Forderung erhoben wird, nicht mehr nur "Krankengeschichten" zu schreiben, sondern "Interaktionsgeschichten"54. Diese Forderung besteht deshalb zu Recht, weil nur dann, wenn die Interaktion mitgeteilt wird — einschließlich der Maßnahmen des Therapeuten — auf die "autoritative" Form der Fallpräsentation (Spence 1993) verzichtet werden kann, wonach nur der Autor im Besitz der Wahrheit ist, die er seinem Publikum präsentiert. Wenn Meyer allerdings sein "Nieder mit der Novelle!" ausruft, möchte ich ihm nicht zustimmen. In der Psychoanalyse kommt es nicht nur auf "positives' Wissen an, sondern ebenso wichtig ist, "wie" man etwas weiß. Overbeck (1994) hat gezeigt, daß gerade die ästhetisch-narrative Form zu diesem "Wie" des Wissens beiträgt. In diesem Sinn haben wir nicht zuviel, sondern eher zuwenig "Novellen".55 Zudem ist ein ganz wesentlicher Aspekt therapeutischer Interaktion, wie Cox und Theilgaard (1987) immer wieder betonen, die Poesie; womit nicht gemeint ist, was gesagt wird, sondern eine Weise, etwas zu sagen.

Publication details

Published in:

Buchholz Michael B. (1996) Metaphern der "Kur": eine qualitative Studie zum psychotherapeutischen Prozeß. Wiesbaden, Verlag für Sozialwissenschaften.

Seiten: 108-128

DOI: 10.1007/978-3-322-87286-9_5

Referenz:

Buchholz Michael B. (1996) Therapie als Interaktionsgeschichte, In: Metaphern der "Kur", Wiesbaden, Verlag für Sozialwissenschaften, 108–128.