Repository | Buch | Kapitel
Die ethnographische Erforschung kognitiver Systeme Namen für Dinge
pp. 323-337
Abstrakt
Eine von Ethnographen allgemein durchgeführte und relativ leichte Aufgabe besteht darin, die Namen von Dingen zu ermitteln. Der Ethnograph macht das typischerweise so: Er zeigt auf die offenbar wesentlichen Dinge, die ein Ereignis ausmachen, das er gerade beschreibt, oder er hebt diese Dinge hoch. Auf diese Weise provoziert er die Namen dieser Dinge in der einheimischen Sprache und der Forscher kann dann jeden einzelnen Namen mit dem Wort vergleichen, das er in seiner Muttersprache verwendet. Die Logik dieses Vorgehens besteht darin: Nennt der Informant das Ding X "Mbubu" und ich nenne es "Felsen", dann bedeutet "Mbubu" Felsen. Auf diese Weise werden die üblichen ethnobotanischen Monographien mit Listen zusammengestellt, die die einheimischen und wissenschaftlichen Namen für jede Pflanze jeweils gegenüberstellen. Das gleiche Verfahren ist wohl auch die Grundlage für die Ermittlung vieler Namen in Eingeborenensprachen, die solchen Monographien in Klammern beigefügt werden: "Unter den Gräsern (Sigbet), deren Körner (Bunga Nen) als Perlen (Bitekel) verwendet werden, erfreut sich keines grösserer Beliebtheit als die Hiobsträne". Wenn der Leser nicht gerade als Linguist an der vergleichenden Analyse der beiden Sprachen interessiert ist, dann mag er sich sehr wohl fragen, ob diese Beifügung nicht ausschliesslich dem Nachweis dient, dass der Ethnograph dem Sammeln sprachlicher Daten die erwartete Mindestaufmerksamkeit geschenkt hat. Dieses Verfahren, Worte für Dinge zu erhalten — und auch die so oft zu hörende Reaktion "was soll's' — geht von der objektiven Identifizierbarkeit einzelner "Dinge" aus, unabhängig von der je besonderen Kultur. Es begreift die Aufgabe, Namen zu ermitteln so, als ob es einfach darum ginge, sprachliche Etikette für "Dinge" in zwei Sprachen zu vergleichen. Dementsprechend kann der "problemorientierte" Anthropologe mit einer breiten, kulturvergleichenden Perspektive jedes Interesse an diesen Bezeichnungen abstreiten. Alles, was ihn interessiert, ist das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein eines besonderen Gegenstandes in einer gegebenen Kultur.
Publication details
Published in:
Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen (1980) Alltagswissen, Interaktion und gesellschaftliche Wirklichkeit: 1: symbolischer Interaktionismus und Ethnomethodologie. 2: Ethnotheorie und Ethnographie des Sprechens. Wiesbaden, Verlag für Sozialwissenschaften.
Seiten: 323-337
DOI: 10.1007/978-3-663-14511-0_9
Referenz:
Frake Charles O. (1980) „Die ethnographische Erforschung kognitiver Systeme Namen für Dinge“, In: Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen (Hrsg.), Alltagswissen, Interaktion und gesellschaftliche Wirklichkeit, Wiesbaden, Verlag für Sozialwissenschaften, 323–337.