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Weltzeit und Systemgeschichte
pp. 81-115
Abstrakt
Das naive Verhältnis menschlichen Lebens zu seiner eigenen Geschichte kann in verschiedener Weise durch Reflexion gebrochen werden. Die eine Möglichkeit ist, das Vergangene als einen besonderen Gegenstandsbereich anzusehen und nach den Bedingungen seiner Erkenntnis zu fragen. In dieser Perspektive kann, wenn man Erkenntnis über Erinnerung hinaus szientifizieren will, auch nach den Bedingungen gefragt werden, unter denen solche Erkenntnis als wissenschaftliche zu gelten hat, weil die Ergebnisse der Geschichtsforschung intersubjektive Gültigkeit erreichen. Legt man diese »epistemologische« Perspektive zugrunde, gilt als ausgemacht, daß das Vergangene etwas ist, was gewesen ist; und weiter, daß aus der Fülle des objektiv Vergangenen forschungswürdige Themen unter dem Gesichtspunkt von Erkenntnisinteressen ausgewählt werden können. Eine ideologische Verzerrung solcher Erkenntnisinteressen (immer: Erkenntnisinteressen!) mag man zugeben und mit mehr oder weniger Optimismus für ausmerzbar halten. Die Sozialgeschichte würde sich dann als wissenschaftliche Disziplin mit der Erkenntnis vergangener sozialer Strukturen und Prozesse befassen. Sie könnte zur Beurteilung der Zusammenhänge und als Selektionshilfe soziologische Theorien heranziehen, die gegenwärtig anerkannt sind und sich forschungsmäßig bewährt haben. In diesem Sinne lassen sich etwa Theorien über Zusammenhänge zwischen Gesellschaftsdifferenzierung, Teilsystemautonomie und symbolischer Generalisierung für historische Forschung auswerten1.
Publication details
Published in:
Ludz Peter C. (1972) Soziologie und Sozialgeschichte: Aspekte und Probleme. Wiesbaden, Verlag für Sozialwissenschaften.
Seiten: 81-115
DOI: 10.1007/978-3-322-83551-2_4
Referenz:
Luhmann Niklas (1972) „Weltzeit und Systemgeschichte“, In: P. C. Ludz (Hrsg.), Soziologie und Sozialgeschichte, Wiesbaden, Verlag für Sozialwissenschaften, 81–115.